Flucht aus der Pflege verhindern, Versorgung sichern

Politik muss Pflegeberuf attraktiver machen

Deutschlands führender Fachkongress für Pflege, der Deutsche Pflegetag, bietet ein breites Themenspektrum und viele spannende Diskussionen. „Der politische Auftakt von Frau Vogler und die Speakers Corner heute haben deutlich gemacht, dass die Profession Pflege künftig noch geeinter auftreten muss und auch auf Bundesebene eine Selbstverwaltung auf Augenhöhe mit anderen Playern des Gesundheitswesens nötig ist“, erklärt Dr. Markus Mai, Präsidiumsmitglied der Bundespflegekammer (BPK).

Viele Pflegefachpersonen sind auch während der Corona-Pandemie aus Verantwortungsgefühl den Kollegen, aber auch den Patienten gegenüber, noch im Beruf geblieben. Laut einer Studie der HAW Hamburg haben 17 Prozent der befragten Pflegekräfte keine Motivation mehr für ihren Job. „Das ist jede sechste Pflegeperson“, warnt Christine Vogler, ebenfalls Präsidiumsmitglied der BPK. Ähnliche Ergebnisse erzielten Befragungen des DBfK oder der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. „Ein solcher Pflexit muss unbedingt verhindert werden“, appelliert Dr. Mai an die Parteien, die derzeit Sondierungsgespräche für mögliche Koalitionen auf Bundesebene führen. Es gehe dabei letzten Endes auch um die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung. „Gelingt es jetzt nicht, die Weichen für mehr Personal in der Pflege zu stellen, werden wir innerhalb weniger Jahre mit katastrophalen Versorgungsengpässen konfrontiert sein“, erklärt er.

Bis 2035 gehen 40 % der Pflegefachkräfte in Ruhestand

Was viele nicht im Blick haben ist, dass bis zum Jahr 2035 etwa 500.000 Pflegefachpersonen das Renteneintrittsalter erreichen werden. Das sind 40 Prozent der Berufsgruppe. Zudem wird aufgrund des demografischen Wandels die Zahl der Pflegebedürftigen und Menschen mit Pflegebedarf deutlich steigen. „Wo pflegerische Angebote fehlen, müssen pflegende Angehörige einspringen“, weist Dr. Mai hin. Das führe dazu, dass Betreuungslücken zu erheblichen Folgekosten für Unternehmen und die Volkswirtschaft insgesamt führen: Verringerung der Arbeitszeit, Berufsaufgabe, erhöhte krankheitsbedingte Ausfallzeiten. „Für Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen bedeutet die mangelnde Vereinbarkeit von Pflege und Beruf Einkommensverluste und Einbußen bei der späteren Rente. Ohne eine gute Pflege können Wirtschaft und Gesellschaft auf Dauer nicht funktionieren“, warnt der Pflegefachmann.

Umgehendes politisches Handeln erforderlich

Der Fachkräftemangel in der Pflege ist schon heute Realität, weiß Christine Vogler. Sie fand in ihrer berufspolitischen Eingangs-Keynote heute auf dem Deutschen Pflegetag deutliche Worte: „Wir fordern die künftige Bundesregierung auf, die Profession Pflege in den Mittelpunkt ihrer Koalitionsverhandlungen zu stellen, denn der Personalmangel in der Pflege hat nicht nur Auswirkungen auf die Attraktivität des Berufes, sondern auch auf die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.“

Folgende fünf Kernforderungen richtet die BPK daher im Rahmen des Deutschen Pflegetages nochmals an die Politik:

Forderung 1: Personalausstattung verbessern

Die Bundespflegekammer fordert,

  • in allen Ausbaustufen verbindliche und bundeseinheitliche Einführung des Personalbemessungsverfahrens in Pflegeheimen, wobei im Rahmen der Erprobung zukunftsweisende Versorgungskonzepte berücksichtigt und das Verhältnis von Fach- zu Assistenzkräften kritisch überprüft werden müssen.
  • die PPR 2.0 als vorläufige Personalbemessungsgrundlage im Krankenhaus umgehend umzusetzen und parallel ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zu entwickeln.
  • die bislang landesrechtlich geregelten Pflegehelferausbildungen bundeseinheitlich auszugestalten (Dauer: 2 Jahre) und eine Qualifizierungsoffensive zu starten, um den notwendigen Bedarf zu decken.
  • die Ausbildungszahlen zu erhöhen und Studienplätze für Pflege in der Erstausbildung sowie postgraduiert zur Spezialisierung deutlich auszubauen.
  • Etablierung und Refinanzierung von umfassenden Integrationsprogrammen für ausländische Pflegefachpersonen.
  • die Digitalisierung in der Pflege voranzutreiben, um die Pflegenden zu entlasten.
  • Aufbau einer Pflegereserve für den Pandemie- und Katastrophenfall gemeinsam mit den Pflegekammern.

Forderung 2: Mehr Mitsprache

Die Bundespflegekammer fordert,

  • Vertreter des Pflegerufes mit Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss und beim Gemeinsamen Qualitätsausschuss beteiligen.
  • Beteiligungsrechte der Pflegeberufe in allen Gremien, die die Pflege betreffende Entscheidungen fällen (z.B. Corona-Krisenstäbe).
  • in der Bundesregierung die Stelle einer Chief Government Nurse zu schaffen.
  • Bereitstellung einer Anschubfinanzierung für die Bundespflegekammer durch den Bundesgesetzgeber.

Forderung 3: Neuverteilung der Aufgaben im Gesundheitswesen

Die Bundespflegekammer fordert,

  • Mehr Entscheidungsbefugnisse für Pflegefachpersonen beispielsweise bei der Gestaltung der Pflege und der Verordnung von Leistungen.
  • Beseitigung der rechtlichen Barrieren und flächendeckende Umsetzung von Modellprojekten zur Heilkundeübertragung an Pflegefachpersonen.
  • Fortsetzung des Strategieprozesses mit dem Ziel, eine Roadmap für die Einführung des Community Health Nursing, Schulgesundheitspflege bzw. Advanced Practice Nursing in Deutschland zu erarbeiten.

Forderung 4: Angemessene Bezahlung

Die Bundespflegekammer fordert,

  • die Gehälter in der Langzeitpflege und Rehabilitation schnell an die der Krankenhauspflege anzugleichen.
  • einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Langzeitpflege abzuschließen, der sich am TVöD oder den AVR der konfessionellen Krankenhausträger orientiert.
  • das Lohnniveau für alle Pflegefachpersonen schrittweise auf ein Einstiegsgehalt von 4.000 Euro brutto anzuheben.
  • Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
  • Bessere Absicherung von Pflegefachpersonen bei Erwerbsunfähigkeit.

Forderung 5: Pflege gerecht finanzieren

Die Bundespflegekammer fordert,

  • die Finanzierung in der Pflegeversicherung solidarisch zu regeln, d.h. die Eigenanteile sozial gerecht zu deckeln und die Mehrkosten solidarisch über höhere Beiträge und Steuermittel zu finanzieren.
  • nachhaltig und legislaturperiodenübergreifend ein Pflegebudget im Krankenhaus sicherzustellen, das nach oben nicht begrenzt ist.
  • die Weiterführung des DRG-Systems in der heutigen Form lehnt die Bundespflegekammer ab. Vorhaltekosten im Sinne einer Basisversorgung und Reservekapazitäten in Krisenzeiten müssen pauschal finanziert werden.
  • die Investitionsfinanzierung in Krankenhäusern und stationärer Pflege im Sinne der Vorhaltung vonseiten des Staates zu sichern.

 

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